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L'âge de raison - Zeit der Reife,  ein Roman von J.-P. Sartre

Zusammenfassung:

Mathieu Delarue, wohnhaft an der rue Huyghens 22, ist Philosophielehrer am Buffon-Gymnasium und gleichzeitig ein Sonntagsschriftsteller, der alle zwei Jahre eine Novelle schreibt. Er muss über alles nachdenken. Trinken, Essen, mit Frauen schlafen interessiert ihn nur sekundär. Mathieu hat seine Jugend verloren. Er fühlt sich alt. Um dies zu kompensieren umgibt er sich mit jungen Menschen – doch Kleinkinder hasst er. Er nennt sie blasse, weiche Schröpfmäulchen. Mathieus Leben ist voll verpasster Gelegenheiten. Er wollte Englisch lernen, sich bei den Republikanern in Spanien melden, dem PCF beitreten, nach Amerika gehen. Doch stattdessen hat er ein zahnloses Leben geführt. Er brachte es nur zu unsinnigen Jugendspielen, wie sich in Gegenwart von Ivich ein Messer in die eigene Hand zu stossen. Jetzt hat er nur noch ein Laster: er will frei sein. Ganz frei. Er will frei, verantwortlich sein. Er will sein, causa sui, Ursache seiner selbst sein. Sein Grundsatz ist es, Grundsätze abzulehnen. Er hat eine Freundin, Marcelle, die er viermal die Woche besucht. Mit ihr hat er vereinbart, sich gegenseitig alles zu erzählen. Vor allem für ihn ist dies sehr bequem. Trotz seiner wilden Ehe mit Marcelle ist er ein Beamter und führt das geordnete Leben eines Beamten.

Marcelle, die eine ernste, etwas herrische Stimme hat, ist oft streng, ein bisschen aggressiv und etwas misstrauisch. Sie liebt ihren Körper nicht. Sie ist nicht nur Mathieus Geliebte, sondern auch sein Ratgeber und Richter. Neben Marcelle hat Mathieu aber eine weitere Freundin, Ivich. Sie ist adeliger russischer Herkunft und studiert erfolglos Medizin. Sie hat Angst, dass sie, wenn sie in der Prüfung versagt, wieder in die Provinz, nach Laon zurückkehren muss. Ivichs Bruder ist Boris, ein ehemaliger Schüler und nun Jünger von Mathieu – auch wenn Mathieu den Ausdruck Jünger nicht mag. Boris will immer jung bleiben. Spätestens mit 25 will er sich erschiessen. Er, der gerne irgendwo was stiehlt, hat ein Verhältnis mit Lola, einer koksende Sängerin Ende vierzig aus dem Sumatra. Und Boris hasst die Schwulen, weil sie immer hinter ihm her sind, nicht zuletzt auch Daniel. Daniel, der Erzengel, ist der Vertraute von Marcelle. Mit ihm kann Marcelle gut sprechen. Er versteht es, Marcelle von sich selbst sprechen zu lassen. Doch Daniel, wohnhaft an der rue Montmartre 22, ist schwul, 200% schwul. In mancher Beziehung ist Daniel jener mit dem typisch existentialistischen Lebensgefühl. Er will frei sein. Er will sich sein, sich nicht von den Leuten abstempeln lassen. Der Blick der andern, bis auf den Grund seiner selbst, ist für ihn die Hölle. Er kennt sich gut, er weiss, dass er ein Feigling ist. Aber er liebt es, unaufrichtig zu sein. Wie Mathieu will auch er vieles tun, doch nur zu wenigem kann er sich durchringen. Nicht einmal seine drei Katzen kann er ersäufen.

Die zwei grossen Charakterfiguren sind der Kommunist Brunet und der Spanienkämpfer Gomez. Für Brunet ist Mathieu nur ein Sozial-Verräter, ein Wachhund. Im Gegensatz zu Mathieu hatte sich Brunet, der einmal Mathieus bester Freund war, schon früh an die Partei gebunden. Er teilte Mathieus Angst nicht, an der Nase herumgeführt zu werden. Brunet lädt Mathieu ein, der Partei beizutreten. Mathieu brauche die Partei – die Partei brauche allerdings keine Intellektuelle. Mathieu habe auf alles ausser der Freiheit verzichtet. Verzichte er nun auf die Freiheit, erhalte er alles wieder zurück. Doch Mathieu lehnt ab. Für ihn redet Brunet wie ein Pfaffe. Doch an Brunet fasziniert Mathieu dessen männliches Auftreten, seine kurzen, strengen Wahrheiten, sein verschlossenes, selbstsicheres Verhalten. Mathieu erkennt, dass Brunet, der gewagt hat, sich zu engagieren, freier ist als er selbst, weil er mit sich selbst und mit der Partei im Einklang ist. Mathieu erkennt, dass er selbst nur ein verantwortungsloser Mensch ist. Neben Brunet gibt es noch den Spanienkämpfer Gomez. Er war eines Tages, ohne sich bei seiner Familie abzumelden, nach Spanien abgereist, um sich militärisch auf Seiten der Republikaner in Spanien zu engagieren. Er ist nun Oberst in Barcelona. Für Gomez sind alle Franzosen Schweine, weil sie sich weigern, sich auf der richtigen, der republikanischen Seite zu engagieren. Auch Mathieu wollte einmal nach Spanien gehen, doch hier wie auch sonst meist liess Mathieu es bei der Absicht bewenden.

Mathieu sieht seine Freiheit plötzlich bedroht, als ihm Marcelle eröffnet, dass sie schwanger ist. Ohne viel mit ihr abzusprechen, schlägt er ihr vor, dass sie das Kind abtreibt. Marcelle willigt ein. Als erstes brauchen sie einen Arzt. Sarah, die Frau von Gomez, kennt einen jüdischen Arzt aus Wien, einen, der wenigstens sauber arbeitet, nicht wie die Engelmacherin, die Mathieu zuerst inspizierte. Doch dieser Arzt will 5000 Francs. Und bei Nicht-Jüdinnen macht er es nicht auf Kredit – zu schlimm haben ihm die Wiener mitgespielt. Er versucht das Geld zuerst bei Daniel aufzutreiben. Doch Daniel will es ihm nicht geben. Er sieht in der Situation eine Gelegenheit für Mathieu, sich zu engagieren, etwas zu tun, das man nicht will, die Chance, ein anderer zu werden. Und es stört Daniel, dass Mathieu keine Rücksicht auf Marcelle nimmt. Auch Jacques, der erfolgreiche Rechtsanwalt, will seinem Bruder Mathieu kein Geld leihen. Er will ihm das Geld erst geben, wenn Mathieu eingesteht, dass er verheiratet ist. Sein Verhältnis zu Marcelle unterscheide sich nicht von einer normalen Ehe. Mathieu wolle nur die Vorteile der Ehe nutzen, nicht aber sich den Unannehmlichkeiten aussetzen. Jacques kritisiert Mathieu dafür, dass er, der gegen die Bourgeoisie sei, ein richtiges Beamtenleben führe und wie ein Bürger lebe. Im Innern sei er immer noch ein alter, verbummmelter Student, der nicht einsehe, dass er dicker, sein Haar schütterer geworden sei, dass das Bohème-Leben gar nicht mehr zu ihm passe. Im Gegensatz zu Mathieu hat Jacques, der früher dem Surrealismus anhing und bei den Feuerkreuzlern war, den Mut gehabt, sein wildes Leben aufzugeben, mit den Trieben ihres Seeräuber-Grossvaters fertig zu werden. Jacques ist bereit, Mathieu zehntausend Francs zu geben – wenn er Marcelle heiratet.

Statt Jacques will Boris Mathieu helfen und Lola für ihn anpumpen. Doch das scheitert. Erst beim zweiten Mal getraut er sich, Lola die fünftausend Francs zu stehlen. Doch Marcelle will das Geld nicht. Mathieu verliert so zuerst Marcelle, dann auch Ivich. Lola bemerkt den Diebstahl des Geldes. Sie verdächtigt Boris, den sie bei Mathieu sucht. Dieser will ihr alles erklären. Plötzlich taucht Daniel, der vor kurzem erst noch Ralph gefickt und erniedrigt hat und dann Selbstmord begehen wollte, auf. Daniel gibt bekannt, dass er Marcelle heiraten wird. Marcelle wird das Kind behalten. Daniel gibt Lola das gestohlene Geld zurück. Er nutzt seine Chance. Er hat gehandelt. Und er erklärt Mathieu offen, dass er schwul ist. Dies ist Daniels acte gratuit. Mathieus Versuche, das Problem von Marcelles Schwangerschaft zu lösen, war vergebens. Er hat alles umsonst gemacht, er hat eine weitere Chance verpasst – seine letzte Chance? Denn zwischen 30 und 40 haben die Menschen ihre letzte Chance, aus sich etwas zu machen. Mathieu bleibt zurück, allein, ganz frei, ohne jegliche Bindung. Er muss erkennen, dass niemand seine Freiheit behindert hat, sondern das sein Leben sie ganz einfach ausgetrunken hat. Seine Jugend gehört nun der Vergangenheit. Er ist ein reifer Mann. Unterstützt von einem abgenutzten Epikureismus wird er nun mit Kennermiene ein verdorbenes Leben geniessen.