Sartres Zeitgenossen — Kurzbiographien Bi–C
Bianca Bienenfeld: 1921-2011. Philosophielehrerin. 1922 von Polen nach Frankreich emigriert. Seit 1941 verheiratet mit Lamblin, einem von Sartres Schülern; in den Briefen Louise Védrine. Vorbild für Ella Birnenschatz in Le Sursis, deren Vater für den Diamantenhändler Birnenschatz. 1921 in Lublin/Polen geboren, übersiedelte 1922 nach Paris. Aus armen jüdischen Verhältnissen. Ihr Vater war Diamantenhändler. Lernte Beauvoir 1937 als ihre Lehrerin im Lycée Molière kennen. Ab 1938 hatte sie ein Verhältnis mit Beauvoir, ab 1939 mit Sartre. Studierte an der Sorbonne Philosophie. Befreundet mit Kanapa, Raoul Lévy und Yvonne Picard. Machte für ihre anfängliche Frigidität Sartre verantwortlich. 1939/40 verbrachte Beauvoir mehrmals die unsichere Zeit bei den Bienenfelds, die sie auch kurz vor der Besetzung von Paris bis nach Angers mitnahmen, wo sie in der Nähe Mme Morel besuchte. 1940 brachen sowohl Sartre wie Beauvoir mit ihr, da sie mit Bianca nicht ein so enges Verhältnis aufbauen wollten, wie diese es sich im Stile des Trios Sartre-Beauvoir-Olga vorstellte. Bianca verbrachte den Krieg im Vercors. Litt schwer unter den Folgen als Verfolgte. 1945 erneuerten Beauvoir und Bianca ihre Freundschaft. Noch bis ans Lebensende trafen sie sich meist einmal im Monat zu einem Essen. Algren gegenüber äusserte sich Beauvoir jedoch zu Beginn sehr negativ über Bianca und meinte, dass das Verhältnis eher einseitig sei. Beauvoir zeigte erst ab 1950 Einsicht, dass Biancas Angst vor KZ und Deportation nicht blosse Hysterie war. Bianca fühlte sich durch die Veröffentlichung der Briefe Sartres und vor allem Beauvoirs so verletzt, dass sie sich entschloss, ihre Sicht der Ereignisse als Buch zu veröffentlichen (Mémoires d’une jeune fille dérangée, 1993). Durch einen Vetter Biancas, der, gezeichnet mit Brandmalen, 1939 vor den Nazis aus Wien floh, kam Sartre erstmals in direkten Kontakt mit der Judenverfolgung in Grossdeutschland.
François Billoux: 1903-78: komm. Politiker (1926 ZK-Mitglied, 1928-30 Gen.Sekr. der komm. Jugend, 36-72 im Politbüro, 36-56 ZK-Sekr.). Politkommissar im Span. Bürgerkrieg. 1939-43 in Haft. 44-47 Minister. Hinter Thorez und Duclos Nr. 3 im PCF. Gründete 1945 France Nouvelle, dessen polit. Leiter 1945-47/53-71. Soll Sartre zur Teilnahme am CNE überredet haben. Veranlasste 1954 Kanapas Artikel gegen Mascolo und Audry, weil er ein Doppelspiel Sartres vermutete (B. war um 1952 eher einer der Scharfmacher).
Maurice Blanchot: 1907-2003. Schriftsteller, Kritiker. Zuerst rechtsextrem (bis 2. WK): bei Action française. Studierte bis 1925 in Strassburg (Dt., Philo): befreundet mit Lévinas. Las Heidegger. Dann Studium an Sorbonne. Psychiatrie am Spital Sainte-Anne. Im 2. WK bei Résistance. Ergriff 1960 zusammen mit Nadeau und anderen die Initiative zum Manifest der 121, das zur Dienstverweigerung in Algerien aufrief. Gegen Vietnamkrieg. Für Mai ’68. Damalige Freunde: Bataille (seit 1940), Mascolo (seit 1943), Duras, Foucault, Derrida. 1943 schrieb Sartre einen Artikel über Blanchots Werk L’Aminadab. 1943 besprach Blanchot positiv Les Mouches (als Le Mythe d’Oreste auch 1943 in Blanchots Sammlung Faux pas veröffentlicht). Schrieb für die ersten Nummern der TM. Rief Sartre 1960 dazu auf, gemeinsam eine neue intl. Zs. zu gründen.
Roger Blin: 1907-84. Theater-/Film-Schauspieler und -Regisseur. Verbunden mit Artaud. Bekannt für Inszenierung von Becketts Warten auf Godot und von Werken von Genet. 1940 Affäre mit Wanda Kosakiewicz. Unterzeichnete Manifest der 121.
Jean-Richard Bloch: 1884-1947. Schriftsteller. Antifaschist. Mit Aragon Gründer und Leiter von Ce Soir.
Léon Blum: 1872-1950. Politiker, Schriftsteller. Elsässer jüdischer Herkunft. Sozialist in der Nachfolge Jaurès‘. Redaktor des Parteiprogramms des SFIO von 1919. Lange gegen Regierungsbeteiligung. Ministerpräsident 1936-37 (Volksfront mit Radikalen und Unterstützung des PCF; verhinderte Unterstützung der Republikaner im Spanischen Bürgerkrieg), 38, 46-47. 1943-45 deportiert nach Deutschland. Grosser moralischer Einfluss im SFIO bis zu seinem Tod.
Simon Blumenthal: -2009. Vom PCF ausgeschlossen Mitglied von La Voie communiste (Interview mit Sartre 1962). Engagierte sich für ein unabhängiges Algerien. Bis zu seinem Tod für ein freies, laizistisches Algerien.
Pierre Boisselot: 1899-1964. Kath. Mönch (Dominikaner). Herausgeber des kath. Verlags Éditions du Cerf. Sartre war mit ihm im Kriegsgefangenlager. Im Sommer 45 nahm Sartre an einer philosophischen Diskussion von Éditions du Cerf u.a. mit Gabriel Marcel teil.
Valentino Bompiani: 1898-1992. Italienischer Verleger, Schriftsteller. Er verlegte u.a. Moravia, Steinbeck, Camus und Sartre, bevor letzterer noch 1946 zu Mondadori wechselte. Er organisierte Sartres erste Reise als Schriftsteller nacn Italien 1946.
Alphonse Bonnafé: genannt der Boxer; verheiratet mit Lili; Lehrerkollege (Französisch) Sartres aus Le Havre. Es gelang ihm durch seine Kontakte zu Ministerpräsident Ramadier die Erlaubnis zu erhalten, dass die TM im Herbst 1947 eine Sendereihe am Radio erhielt. Sein Vergleich zwischen de Gaulle und Hitler war es, der zum Bruch zwischen Sartre und den Gaullisten führte und dazu, dass die Sendereihe kurz darauf nach der Ablösung Ramadiers als Ministerpräsident durch Schuman gestrichen wurde. Der Chansonnier und Songschreiber Georges Brassens (1921-80) war sein Schüler, über den Bonnafé auch eine Biographie schrieb.
Abel Bonnard: 1883-1968. Schriftsteller. 1932 Mitglied Académie Française. Weitgereist (u.a. in China), trotzdem Nationalist und Antisemit im Stile Maurras. Mitglied des PPF. Kollaborateur. 1942-44 Minister für nationale Erziehung. Verurteilte moralische Dekadenz in der Literatur, u.a. auch Sartre, den er als Lehrer absetzen wollte. 1944 ins Exil nach Spanien. 1944 aus der Académie ausgeschlossen. 1945 in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Erst 1960 Rückkehr nach Frankreich.
Jacques(-Laurent) Bost: 1916-1990. Gen. „Le petit Bost“. Vorbild für Gerbert in L’Invitée. Journalist:, u.a. 1944-46 für Camus’ Combat (KZ Dachau kurz nach Befreiung), später für L’Express und Nouvel Observateur (1964-78), Canard Enchaîné (1978-90). Interesse am Film (arbeitete u.a. 1950 am Film La Vie commence demain mit, für den Sartre eine Besprechung schrieb). Letztes von 10 Kindern einer prot. Pastorenfamilie in Le Havre. Dort Sartres Schüler. Sartre befreundete sich mit ihm 1934. Er verkörperte für Sartre und Beauvoir zusammen mit Olga die Jugend, Menschen, die nie alt werden wollten. Liebesaffäre mit Beauvoir 1937-47 (anfangs der 40er Jahre besonders heftig). Er blieb Zeit seines Lebens Beauvoirs Freund und gelegentlicher Liebhaber (wohnte mit Olga unter Beauvoir an 11, rue de la Bûcherie). Verheiratet war er seit 1946 mit Olga Kosakiewicz (schwieriges Verhältnis: er hatte immer wieder Affären; u.a. auch mit Vanetti, Jacqueline Breton Lamba, Le Bon). Bost war innerhalb der „Familie“ immer eine ausgleichende Persönlichkeit (unterstützte Cau; aber gegen B. Lévy). Lang war Bost ein Vertrauter Sartres und Beauvoirs, bis seine zunehmende Schwerhörigkeit in den 70er Jahren eine Distanz zwischen ihnen schaffte: 1976 trat er aus der Redaktion von TM austrat. 1978 Ausgangspunkt für die Ablehnung des Interviews von Sartre/Victor/Arlette nach Israelreise im Feb. 78. Unterschrieb das Manifest der 121. Zeitlebens polit. links (legte sich in Nouvel Observateur mit O. Todd an). Onkel von Serge Lafaurie.
Pierre Bost: 1901-75. Schriftsteller und Autor von Filmdrehbüchern. Älterer Bruder von Jacques-Laurent. Sekretär im Senat 1927-60. Chefredakteur der Marianne.1933-35. Auf Bitte des kleinen Bost half er zusammen mit Dullin Sartre, dass Gallimard La Nausée verlegte. Unterschrieb 1947 das Manifest gegen die Verleumdung Nizans durch den PCF. Wirkte am Drehbuch für Les Jeux sont faits mit (1947).
Djamila Boupacha: 1938-. Junge Algerierin, die von französischen Soldaten vergewaltigt worden war. Auf Initiative von Gisèle Halimi engagierte sich Beauvoir 1960 zu ihren Gunsten.
Claude Bourdet: 1909-96. Zuerst bei Action Française, brach mit ihr 1933. Hochrangiger Résistance-Kämpfer. KZ-Überlebender. 1943/44 und 1947-50 Chefredaktor des Combat. 1950 mit G. Martinet und R. Stéphane Gründer von L’Observateur: Für ein sozialistisches vereintes Europa. (Mit-)Begründer von Centre d’action des gauches indépendantes (1952), Union de la Gauche socialiste (1957) und PSU (1960). Engagierte sich gegen Indochinakrieg, Atomwaffen, für unabhängiges Algerien, später für Bosnier und Palästinenser. Sartre stand ihm politisch sehr nahe. Verliess 1963 im Streit den Observateur (France-Observateur).
Pierre Bourdieu: 1930-2002. Soziologe: bekannt für Konzepte wie Habitus oder Feld. Sartre erwähnte Bourdieus erstes allgemeinsoziologisches Buch Les héritiers: les étudiants et la culture, das er 1964 mit Jean-Claude Passeron veröffentlicht hatte (in Justice et État, 1972). Veröffentlichte zwischen 1962 und 1973 sieben Beiträge in den Temps Modernes. Engagierte sich in den 90ern als einer der ganz grossen Intelektuellen politisch prominent links gegen den Neoliberalismus: so 1996 für die Generalstände der sozialen Bewegung, 1998 Mitbegründer der globalisierungkritischen Bewegung Attac.
Jean-Pierre Bourla: 1924-44. Algerisch-spanischer Jude. 1941 Schüler von Sartre am Lycée Pasteur. Lebte seit 1941 mit Sorokine zusammen. Befreundet mit Max Jacob und Cocteau. März 1944 verhaftet, im April 44 nach Auschwitz deportiert und dort verstorben. Vorbild für Diego aus Les Mandarins.
Pierre Boutang: 1916-98. Philosoph, Schriftsteller. Absolvent ENS (promotion 1935). In der Nachfolge von Marcel und vor allem Maurras. Polit. zuerst rechtsextrem (Camelot du roi, bei Action Française). Ging 1941 zu Anti-Vichy über (Giraud, de Gaulle). Unterstütze Pétain 1940/1, Giraud 43, de Gaulle 65, Mitterrand 81. Polit. Direktor der royalist.-kath. Zs. La Nation française 1955-67 (Publikationen u.a. der Hussards). Trotz Vorwürfen des Antisemitismus 1977-86 Prof. an der Sorbonne als Nachfolger von Levinas. Katholik. Gegen Modernismus, Freud. Bezeichnete Sartre als Zola Dada und als Sokrates des Nichts (Sartre est-il un possédé?, 1946).
Léon Boutbien: 1915-2001, Sozialist, Mitglied der Résistance, 1943-45 im KZ, ab 1946 in leitenden Positionen im SFIO/PS.
Robert Brasillach: 1909-45. Schriftsteller und Journalist. Schwul. ENS-Student (promotion 1928). Betreute Feuilleton in L’Action Française 1931-39. 1937-40, 41-43 Chefredakteur der rechtsextremen Je suis partout. Faschist und Antisemit. Trat dafür ein, dass jüdische Kinder mit ihren Eltern deportiert würden. Für Ermordung von jüdischen Politikern wie Blum. Kollaborateur. Distanzierte sich ab 42 von den Deutschen. Hingerichtet 6.2.45 trotz Gnadengesuchs von Valéry, Claudel, F. Mauriac, Camus, Paulhan, Cocteau, Honegger, Anouilh, Maulnier, G. Duhamel, Barrault, Aymé, G. Marcel, Derain etc.. Sartre und Beauvoir unterzeichneten die Petition zu seiner Begnadigung nicht.
Brassaï: 1899-1984. Alias von Gyula Halász. Ungar-rumän-franz. Fotograf. 1902-03, wieder ab 1924 in Paris. Viele Aufnahmen von Paris, Künstlern und Schriftstellern (Dalí, Picasso, Giacometti, Genet), auch von Sartre und Beauvoir im Flore (1944). Bekannt für Nachtfotographien, befreundet mit Picasso.
Pierre Brasseur: 1905-72. Schauspieler, auch Schriftsteller. Eigentlich Pierre-Albert Espinasse. Schauspieler. 1922/23 Verhältnis mit Cocteau. Stand den Surrealisten nahe. Schon in 20er Jahren erste Schauspielrollen, ab 1937 Film. Spielte 1951 den Götz, eine seiner ganz grossen Rollen, in Le Diable et le bon Dieu. Über dieses Stück kam es jedoch zum Streit mit Sartre. Spielte 1951 im Film Les Mains sales Hoederer. 1953 adaptierte Sartre auf seinen Wunsch hin Kean (Brasseur Regie und Rolle des Kean).
Fernand Braudel: 1902-85. Historiker: Vertreter der École des Annales (nicht-marxist. Verbindung von Wirtschaft und Gesellschaft in der Geschichte mit langfristiger Ausrichtung: unter der klassischen Ereignisgeschichte gibt es Konjunkturen und darunter die longue durée, d.h. langandauernde Strukturen wie Feudalismus und geograph. Phänomene; 1946-68 Lt. Annales). 1939-72 EPHE (VI. section). 1949-72 Collège de France. 1949 La Méditerranée et le Monde méditerranéen à l'époque de Philippe II : Sartre schätzte ihn: las ihn Anfang der 50er Jahre.
Bertolt Brecht: 1898-1956. Deutscher Schriftsteller und Regisseur. Ab 1926 Weggenosse der Kommunisten. 1933-46 im Exil (1941-47 in den USA: Opfer McCarthys), 1949 Rückkehr nach Ostberlin. Mit seiner Theorie des epischen Theaters mit den Verfremdungseffekten leistete er einen bedeutenden Beitrag zum modernen Theater. Sartre sah 1930 die Dreigroschenoper, die ihn sehr beeindruckte. Sartre traf ihn persönlich 1954 in Knokke-le-Zoute und schrieb 1957 einen Tribut an ihn (Brecht et les classiques). Sartre kritisierte Brecht 1960 an einer Konferenz an der Sorbonne dafür, dass er zu dogmatisch, d.h. zu nahe an reiner Thesenliteratur sei.TM veröffentlichte zwei Beiträge von Brecht (Qu’est-ce qu’un communiste?, 1948; L’Exception de la règle, 1949) sowie 1952 eine der ersten Einführungen ins epische Theater von Brecht in Frankreich (1952, durch François Erval).
Émile Bréhier: 1876-1952. Philosoph. 1919-25 an der Sorbonne, Kairo und Rio de Janeiro. 1941 Nachfolger Bergsons an der Académie des sciences morales et politiques. Leiter der Revue philosophique. Nach Aron gab er auch Unterricht an der ENS, gab ihn aber wg. schlechten Besuchs durch die ENS-Schüler auf (Anführer Sartre und Nizan).
André Breton: 1896-1966. Dichter, Mitbegründer und Theoretiker des Surrealismus (zusammen mit Aragon und Soupault). Beeinflusst von Baudelaire, Mallarmé, Freud. 1924 1. Manifest: für die surrealistische Revolution, weitgehende Übereinstimmung mit Kommunismus. Schloss sich 1927 mit Aragon und Éluard 1927 dem PCF an (Rif-Krieg in Marokko). 1929 2. Manifest: Bruch mit seinen engsten Gefährten, Aragon, Éluard, Desnos, die den Stalinisten nahestanden, 1933 Bruch mit PCF: Annäherung an Trotskij. 1940-44 in den USA: arbeitete für das Office of War Information. Heftige Kritik an Bataille (1930) und Camus‘ Homme Révolté (1951). Half Sartre 1947 bei der Verteidigung Nizans. Gespannte Beziehungen zu Sartre, der die Surrealisten kritisierte (in Qu’est-ce que la littérature 1948/49: u.a. wg. Bretons schwulenfeindlichen Ansichten). Breton kritisierte 1964 die Ablehnung des Nobelpreises durch Sartre als Propagandaakt für den Ostblock.
Aristide Briand: 1862-1932, verliess 1906 die Sozialistische Partei als unabhängiger Sozialist, bekleidete zwischen 1906 und 1932 verschiedene Regierungsämter. War fünf Mal Ministerpräsident (1909-11, 13, 15-17, 21-22, 25-26, 29) und mehrfach Aussenminister (zuletzt 1925-32). War für Ausgleich mit Deutschland und für Frieden: Locarno-Pakt 1925, Briand-Kellogg-Pakt 1928, erhielt 1926 zusammen mit dem deutschen Aussenminister Stresemann (1923-29) den Friedensnobelpreis. Sein damaliger Vorschlag zu einer Gründung der Vereinigten Staaten von Europa wurde nahezu vollständig überhört.
Pierre Brisson: 1896-1964. Herausgeber des Figaro 1934-64 (42-44 verboten), der Schriftsteller wie Mauriac, Maurois und Giraudoux, später auch Aron zur Mitarbeit bewegen konnte. Kenner von Molière und Racine. Gaullist zur Zeit der Libération, wieder 1958; 1947-51 Kampf gegen RPF. Unterschrieb 1947 das Manifest gegen die Verleumdung Nizans durch den PCF.
Jossif Alexandrovitch Brodksij: 1940-96. Sowjet. Dichter und Dissident. Nobelpreis f. Lit. (1987). Jüd. Herkunft. 1963 verhaftet, 1964 wg. Parasitentums zu 5 J Zwangsarbeit verurteilt, 1965 aus Gefängnis entlassen (nach Protesten Sartres, Jevtushenkos). 1972 ausgebürgert, Emigration in die USA. Sartre bat den sowjet. Staatspräsidenten Mikojan 1965 um Begnadigung Brodskijs: kurz darauf erfolgt.
Claude Broyelle: 1943-. Studierte an ENS (1964, Philosophie). Zusammen mit Linhart einer der Führer der maoistischen Fraktion im UEC, dann beim UJCml. Lebte in China 73-75, kehrte enttäuscht aus China zurück und Bruch (Buch 1977). 79 Kritik an Foucault wg. pro-Khomeini-Haltung. Mit Sartre, Aron und Glucksmann am 26.6.79 bei Giscard wegen Boat People. Verfasste zus. mit seiner Frau Claudie 1982 das Buch Les Illusions retrouvées. Sartre a toujours raison contre Camus als Kritik an Linksintellektuellen.
Jean Bruhat: 1905-83. Komm. Historiker der Arbeiterbewegung. 1925-29 an der ENS, wo er einer der wenigen Kommunisten war (René Joly, später Georges Friedmann). Stalinist: sagte 1949 gegen Kravtchenko aus. Verfasste eine vielzitierte Histoire de l’URSS. Zuerst an Sorbonne, dann ab 1968 an Univ. Vincennes (Paris VIII). Mit Sartre 1928 vor dem Disziplinarrat wg. der Aktionen gegen die Militarisierung an der ENS.
Léon Brunschvicg: 1869-1944. Führender idealistischer Philosoph (beeinflusst von Kant, Schelling, Hegel; schrieb Werke u.a. über Spinoza, Pascal, Descartes). Jüd. Herkunft. Einer der Väter der Wissenschaftskritik. Politisch links. Lehrte zur Zeit Sartres an der Sorbonne (1909-40; nach 1940 in Südfrankreich) und an der ENS. Gründer des Revue métaphysique et de morale. Leiter der Kommission für die Agrégation in Philosophie. Empfahl Sartre für das Jahr in Berlin. Sollte mit Wahl zusammen L’Imaginaire als Sartres Dissertation veröffentlichen. Zielscheibe der Kritik an der traditionellen Philosophie in Nizans Les Chiens de garde.
Yves Buin: 1938-. Psychiater, Schriftsteller, Jazzkritiker. Herausgeber der Zs. Clarté. Organisierte 1964 eine Diskussion mit Beauvoir, Semprun, Ricardou, Faye, Berger und Sartre über den Nouveau Roman.
Katharina von Bülow: 1938-. Deutsche Kulturschaffende in Frankreich. Tänzerin an der Metropolitan Opera in New York (1960-63). 1966-86 bei Gallimard (Les Presses d’aujourd’hui; betreute u.a. Genet), 1986-2001 stellvertretende Produzentin bei France Culture.
James Burnham: 1905-87. Amerikan. Politischer Theoretiker. Zuerst Trotzkist (in Workers Party). 1940 zusammen mit Shachtman (die UdSSR als bürokratischer, imperialistischer Staat) gegen Cannon (wie Trotskij: UdSSR als degenerierter Arbeiterstaat): Gründung der Socialist Workers Party. Veröffentlichte 1941 The Theory of the Managerial Revolution (die Manager/Bürokraten lösen die Kapitalisten ab), die die Gesellschaftstheorie intensiv beeinflusste (u.a. Galbraith). Nach 2. WK strammer Antikommunist (Reagan verlieh ihm 1983 die Presidential Medal of Freedom).
Michel-Antoine Burnier: 1942 (Chambéry)-2013 (Paris). Pseudonym: Jean-Paul Naury. Journalist, Schriftsteller. Schon als Jugendlicher von Sartre beeinflusst. Als Student im UEC (seitdem befreundet mit Kouchner), 1965 als Italien ausgeschlossen. 1966-68 Redakteur von L’Événement (gegr. von d’Astier). Mitbegründer und Chefredakteur 1970-92 von Actuel. Seit Anfang der 60er Jahren, als Sartre sich intensiv für Algerien engagierte, Sartres Denken nahestehend. 1964 aus PCF ausgeschlossen. Sartre gab ihm 1962 ein Interview für das Organ der PSU-Studenten und 1973 ein Interview über die Maoisten. 92-94 im Gesundheitsministerium unter Kouchner. 94-96 L’Express, anschließend Libération. Schrieb 1966 Les Existentialistes et la politique, 1982 das fiktive Testament de Sartre (sowie andere „Fälschungen“ von Mitterrand, Beauvoir, Aragon, de Gaulle, Malraux) und 2000 das Buch L’Adieu à Sartre.
Michel Butor: 1926-2016. Schriftsteller: einer der wichtigsten Vertreter des Nouveau Roman. Brach mit diesem 1960 und konzentrierte sich u.a. auf Essays, Gedichte. 1958 Diskussion mit Sartre, Adamov etc.
Marcel Cachin: 1869-1958. Komm. Politiker. Mitbegründer des PCF 1920. Direktor der Humanité (1918-58), Politbüromitglied 1923-58. 1936 ein Stütze des Volksfront. Streng stalinistisch. 4x Präs.kand. des PCF. Erhielt 1957 als erster Ausländer den Lenin-Preis.
Alexander Calder: 1898-1976. Bildhauer. Bekannt für seine Mobiles. Sartre traf ihn 1945 in den USA auf Vermittlung Gerassis. Sartre schrieb für Calders Ausstellung in Paris 1946 einen Text. Calder half Gerassi bei der Einbürgerung in den USA.
Jacques Calmy: 1897-1973. Journalist und Publizist. Jude, Zionist (Generalsekretär der Ligue française pour la Palestine libre). Leitete Confluences. Bis 1969 Chefredaktor von Monde Juif. Organisierte mit Beigbeder Sartres Auftritt am 29.10.45 zu L’Existentialisme est un humanisme.
Albert Camus: 1913-60. Franz. Schriftsteller, Journalist. Vorbild für Henri Perron in Les Mandarins. Aufgewachsen in Algerien. Studierte Philosophie bei Jean Grenier (u.a. über Nietzsche, Kierkegaard, Schopenhauer). 1935-37 als Antikolonialist Mitglied PCF (1937 ausgeschlossen). Als Journalist in Algerien 1938-40 (Alger Républicain, Le Soir Républicain) und in Paris (1940-42 bei Paris-Soir, ab 43 wieder in Paris). 1942 kurzzeitig zurück in Algerien, 1942-43 wg. Tuberkulose in Chambon-sur-Lignon (Auvergne). Protégé von Pia, über den er zum Alger Républicain, Le Soir Républicain, Paris-Soir, Gallimard und Combat kam. Sartre (über L’Étranger) und Camus (über La Nausée, Le Mur) besprachen mehrmals gegenseitig ihre Werke. Veröffentlichte 1942 L’Étranger (in der besetzten Zone) und Le Mythe de Sisyphe, 1944 Le Malentendu (Premiere 1944 im besetzten Paris), 1947 La Peste. Aufgrund der in seinen Werken vertretenen Absurdität des Lebens zu den Existenzialisten gezählt, was er ablehnte. Résistance-Mitglied (erst ab Ende 43; zuvor eher pazifist.). 1944/45 Verfechter der Säuberungen unter den Intellektuellen (Streit mit F. Mauriac), unterzeichnet jedoch Aufruf zugunsten Brasillach, weil er gegen die Todesstrafe war. Okt. 43-47 einer der wichtigsten Mitarbeiter der Zt. Combat (Chefred. war Pia). Ab Mitte 43 einer von Sartres besten Freunden (Camus hatte allerdings Vorbehalte und wollte nicht als Sartres Fahnenträger erscheinen). Ursprünglich sollte 1943 Camus in Huis clos den Garcin spielen. Ab Ende des 2.WK Kritik am deutschen und nihilistischen Denken, dem er sein mittelmeerisches Denken entgegenstellte. Lehnte den Kommunismus, v.a. die Auffassung vom Sinn der Geschichte und eine Moral von “der Zweck heiligt die Mittel” ab: Camus wurde zum Moralisten. Beauvoir und Camus hatten gegenseitige Vorbehalte (Camus als Macho wollte nicht mit einer Philosophin ins Bett). 1946 schrieb Camus das unveröffentlichte Theaterstück L’Impromptu mit M. Néant (Sartre) als Handelsreisender für neue Lehren, der aus einer Irrenanstalt entsprungen ist. Zunehmend Spannungen zwischen Camus und Sartre (Camus war 1946 für Koestler, gegen Merleau-Ponty): erster Bruch 1946/47. Camus bezog 1946 in Ni victimes, ni bourreaux gegen Sartre Position (Moral vor Politik; im Gegensatz zu Sartres L’Engrenage, wo Moral und Politik zusammengehören). Camus ab 1948/50 bei den Antikommunisten. 1949 lehnte Camus Beauvoirs Le Deuxième sexe ab („eine Beleidigung des franz. Mannes“). 1951 Wiederannäherung (Camus’ Geliebte Casarès spielte in Le Diable et le bon Dieu). 1952 Bruch mit Sartre über L’Homme Révolté (1951). 1957 Nobelpreis. Schlug 1958 Pasternak für den Nobelpreis vor. Schwieg zum Algerienkrieg (Aron: „Camus mit der Haltung eines wohlwollenden Kolonisators“). Sartre schrieb nach Camus-Unfalltod einen bemerkenswerten Artikel über Camus und ihre Beziehungen. Während Camus nach dem Bruch 1952 an Sartre wenig Gutes liess, gab es bei Sartre Kritik (indirekt im Vorwort zu Fanons Les Damnés de la terre) und Lob (über La Chute).
Francine Camus: 1914-1979, geb. Faure. 2. Frau von Albert Camus. Aus Oran/Algerien. Gute Pianistin. Mathematiklehrern. Traf Camus erstmals 1937, heirateten 1940. Wegen des Kriegs blieb sie 1942-44 allein in Algerien. War schwer getroffen von Camus’ Untreue, die zumindest ein Grund war für ihre schweren Depressionen, die in den 50er Jahren bis zum Selbstmordversuch führten. Die Wertschätzung, die Sartre und Beauvoir ihr entgegenbrachten, teilte sie nicht und war deshalb nur teilweise bei den Zusammenkünften von Camus mit Sartre/Beauvoir dabei.
Georges Canguilhem: 1904-95. Wissenschaftsphilosoph und -historiker (bedeutender Vorläufer der Strukturalisten). Lycée Henri IV inkl. Khâgne (mit Philosophie bei Alain). Einer der fünf Philosophiestudenten in Sartres Jahrgang an der ENS, eng befreundet mit Aron. Im 2. WK im Widerstand. 1955-71 Professor an der Sorbonne (Nachfolger von Bachelard). Im Verbund mit Medizin wurde er vor allem für seine Unterscheidung des Normalen vom Pathologischen bekannt, die nach Ansicht von Canguilhem nicht wissenschaftlich oder statistisch bestimmt werden kann, sondern vielmehr Wertvorstellungen reflektieren, die tief getränkt von politischen, ökonomischen und technologischen Imperativen sind. Damit wurde er ein wichtiger Vorläufer der Befreiung der sexuellen Minderheiten. Foucault entwickelte diesen Ansatz weiter. War einer der Gutachter von Foucaults Habilitationsschrift. Verteidigte Foucault gegen Sartres Angriff 1967/69.
Francis Carco: 1886-1958. Dichter und Prosaschriftsteller des Pariser Milieus. 1937 Mitglied der Académie Goncourt. Sein erster Roman: Jésus la Caille 1914 (über einen schwulen Zuhälter): durch Nizan auf ihn hingewiesen liest Sartre ihn in seiner Studentenzeit.
Stokley Carmichael: 1941-98. Trinidader, emigrierte 1952 in die USA. Führer der Black Power Bewegung in den USA. Wurde vom Vertreter der gewaltlosen Bürgerrechtsbewegung zu einem Gewalt befürwortenden Anhänger des Panafrikanismus.
Henri Cartier-Bresson: 1908-2004. Fotograf, zu dessen China-Bildband D’une China à l’autre Sartre einen Begleittext schrieb. Arbeitete für Magnum. Veröffentlichte auch Bildbände über die Zeit der indischen Unabhängigkeit, die Sowjetunion, Kulttänze auf Bali. Stand lange den Kommunisten nahe. Eines der bekanntesten Fotos von Sartre wurde von Cartier-Bresson aufgenommen (Sartre im Mantel, mit Pouillon und mit Zigarette in der Hand auf einer Brücke).
Laurent Casanova: 1906-72. Kommunistischer Politiker. 1936-39 Sekretär von Thorez, stalinistischer Kulturtheoretiker (verteidigte Lysenko) und zuständig für Kontakte mit Intellektuellen. In den 30er Jahren mit Nizans befreundet. Zwischen 1947 und 53 der bedeutendste Verfechter der These, wonach es zwei Wissenschaften geben, eine bürgerliche und eine proletarische, und dass Stalin einen neuen Typ des Gelehrten verkörpere. 1946 Minister. 1947-54 Kandidat, 1954-61 Mitglied des Politbüros. 1948 Mitbegründer der Friedensbewegung. Gegen zögerliche Algerienpolitik des PCF. 1961 als Führer der Tendance italienne aus Politbüro entfernt.
Maria Casarès: 1922-96. Schauspielerin spanischer Abstammung, Tochter des letzten spanischen Min.präs. Quiroga vor dem Beginn des Span. Bürgerkriegs. Seit 1942/44 Theater- und Filmschauspielerin. Spielte in Stücken u.a. von Camus (in Le Malentendu 1944) und 1951 Hilda in Le Diable et le bon Dieu. Damals liiert mit Camus, was damals zu einer kurzfristigen Annäherung zwischen Sartre und Camus führte.
Jean Cassou: 1897-1986. Dichter, Schriftsteller, Kunstkritiker. Jüdischer Abstammung. Wird 1933/34 Weggefährte des PCF. 1936-39 Leiter der Zs. Europe, in der Sartre kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs drei Buchbesprechungen veröffentlichte. Mitglied der Résistance (Réseau du Musée de l’homme). 1945-65 Chefkonservator des Musée national d’art moderne. Befreundet mit Picasso. Vorsitzender des CNE 1946-48. Sagte im Prozess gegen Kravtchenko zugunsten der Lettres Françaises aus. Brach 1949 mit PCF wegen Tito. Gegen Algerienkrieg.
Cornelius Castoriadis: 1922-97. Pseudonym: Pierre Chaulieu. In Istanbul geborener Grieche. Marxist, Philosoph, Ökonom (1948-70 bei der OECD), 1945 nach Frankreich. 1942 Trotzkist. Gründete 1949 mit Lefort Socialisme ou Barbarie (in der Tradition von Liebknecht/Luxemburg: Rätesozialismus, UdSSR als bürokratischer Kapitalismus), 1966 aufgelöst. Ab 1973 als Psychoanalytiker tätig, ab 1980 Studiendirektor der EHESS. Setzte sich 1981 für Solidarnosc ein.
Roland Castro: 1940-. Architekt und Politiker. Jüdischer Herkunft. 1965 aus PCF ausgeschlossen. Über PSU, den UEC seit 1966 beim UJC(ML). Gründete 1969 die Mao-Spontex-Bewegung Vive la Révolution und die Zeitung Tout! (1970-71). Besetzte im Jan. 70 aus Protest gegen tote Afrikaner mit Duras, Clavel, Leiris und Genet und Mitgl. von VLR die Zentrale des Französischen Arbeitgeberverbandes CNPF. Wurde in diesem Zusammenhang im Feb. 70 wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt verurteilt. Sartre sagte zu seinen Gunsten aus. Bei verschiedenen Gelegenheiten unterstützte Sartre ihn bei politischen Aktionen. Schloss sich 1981 Mitterrand an (bis 1992), später dem PCF unter Hue, gründete 2003 das Mouvement de l'utopie concrète (Präsidentschaftskandidat 2007).
Jean Cathala: 1905-91. Mit Sartre in der Khâgne am Louis-le-Grand und an der ENS, aber Abschluss in Bordeaux. 1929-40 für Alliance Française in Tallinn, dann als Botschaftsmitglied, Übersetzer (u.a. Solzhenitsyn) und Journalist in der Sowjetunion, vor allem Moskau, wo er sich mit Sartre in den 60er Jahren traf. Seit 1945 Kommunist.
Jean Cau: 1925-93. Schriftsteller. 1946-57 Sekretär von Sartre. War nie Mitglied der Familie. Publizierte 47-54 in den TM. Führte Anne-Marie Cazalis und Juliette Gréco bei Sartre ein. Befreundet mit Genet (bis in die 60er Jahre; obwohl Hetero; Genet mochte den aus der Arbeiterklasse stammenden Cau) und Lanzmann. 1954 an der Artikelserie über Sartres Reise in die UdSSR beteiligt. Nachdem Jean Cau aufgehört hatte, bei Sartre als Sekretär zu arbeiten, Journalist bei Express, dann auch Nouvel Observateur, Figaro, Paris-Match: oft anderer Meinung als Sartre (machte u.a. auf politische Perversion im unabh. Algerien aufmerksam). Wie im Falle von Kanapa nahm Sartre dies auch Cau sehr übel (Streit darüber zwischen Sartre und Bost, der Cau unterstützte). Cau näherte sich in den 60er Jahren de Gaulle an. Seine Äusserungen wie auch die Theaterkritiken wurden immer polemischer. 1968-77 arbeitete er mit der Nouvelle Droite (GRECE) zusammen: damit bei Sartre und vor allem Beauvoir erledigt, die ihn ohnehin nie mochte. Erhielt 1961 den Prix Goncourt für La Pitié de Dieu. Kritiker der modernen Dekadenz. Glühender Verehrer Spaniens und des Stierkampfs.
Anne-Marie Cazalis: 1920-1988. Sängerin, Schriftstellerin. Von Beauvoir Le petit cassoulet genannt. Stark von L’Invitée von Beauvoir beeinflusst. Schuf die Verbindung zwischen dem Lebensstil der Jungen nach dem Ende des 2. Weltkriegs in St. Germain-des-Prés und dem Existentialismus. Zusammen mit ihrer Freundin Gréco, die sie ermutigte, als Sängerin aufzutreten, erklärte sie sich zur Existentialistin. War der Star im Kellerlokal Tabou an der rue Dauphine, dem Zentrum der existentialistischen Szene von Paris. Beeinflusste auch stark die existentialistische Mode. Der von ihr propagierte freizügige Lebensstil war die Quelle, aus der Zeitungen wie France-Dimanche schöpften, um Sartre in Verruf zu bringen. War mit Astruc und Bost befreundet. Um 1949 durch Cau bei Sartre eingeführt. Ihre Annäherung an die Gaullisten während der Algerienkrise führte zum Bruch mit Sartre und Beauvoir.
Jean Cavaillès: 1903-44. Philosoph, Résistancekämpfer. ENS-Absolvent (promotion 1923). Mehrfach in Deutschland. 1941 Professor (Erkenntnistheorie) Sorbonne. 1941 Mitbegründer der Widerstandsbew. Libération mit Astier und Aubrac. 1942 im Untergrund, 1943 verhaftet, 1944 erschossen. Bedeutender Vorläufer der Strukturalisten. 1939 Lt. eines wiss. Serie bei Hermann: einziges Buch war Sartres Esquisse d’une théorie des émotions (auf Vorschlag Arons). Wollte Sartre fördern, indem er vorschlug, dass Sartre L’Être et le néant als Dissertation einreicht. Riet Sartre zur Kontaktaufnahme mit Kaan.
Louis-Ferdinand Céline: 1894-1961, Arzt, Schriftsteller, aus Paris; verurteilter Antisemit und Faschist; die Werke sind bestimmt durch Pessimismus und Menschenverachtung, Nihilismus und Absurdität; beeinflusste neben Queneau und Genet auch Sartre: durch Voyage au bout de la nuit (1932; mit stark autobiographischen Zügen; ein frühexistentialistischer Roman; Sartre las das Buch noch 1932): vor allem in La Nausée deutlicher Einfluss. Es war Célines anarchistische Haltung, seine Haltung gegen Krieg, Kolonialismus, Mittelmässigkeit, Prüderie und Clichés der bürgerlichen Gesellschaft, die Sartre und de Beauvoir stark beeinflusste; auch der lebendige Stil (im Gegensatz zu Gide). Vor dem Zweiten Weltkrieg auch von den Kommunisten stark verehrt (Übersetzung von Aragon und Triolet ins Russische). 1936 Besuch in der UdSSR: negativer Eindruck. Seit 1937 virulenter Antisemit, obwohl 1932-39 mit einer österr. Jüdin befreundet. Während der Besatzung einer der bedeutenden Kollaborateure unter den Schriftstellern. Befreundet mit Abetz. 1944 Flucht nach Sigmaringen/D, dann 1945 Dänemark (1½ Jahre Gefängnis in Dänemark, 1950 nochmals in Frankreich verurteilt, 1951 begnadigt). 1945 auf der Schwarzen Liste der kollaborierenden Schriftsteller. Als sich Céline als ausgesprochener Antisemit im Zweiten Weltkrieg den Faschisten anschloss, hörte Sartres Verehrung für Céline auf. In Portrait de l’antisémite warf er Céline vor, sich von den Nazis bezahlen zu lassen. Hierauf antwortete Céline in einer Diatribe von Verwünschungen: Sartre als Blutsauger und Bandwurm, Verräter und Scheisse.
Aimé (Fernand David) Césaire: 1913-2008. Schwarzer Schriftsteller. 1931-39 in Paris. ENS (promotion 1935). Befreundet mit Senghor. Mit Senghor und Diop Vertreter der Négritude. Gründet 1947 mit Diop die Zs. Présence Africaine. –1956 Mitgl. PCF. Gründete 1958 autonomist. Parti progressiste martiniquais . Ab 1978 Mitgl. PS. 1945-93 Mitgl. der Nat.vers. 1968 gemeinsame Aktionen mit Sartre zugunsten Schwarzer.
Chabrier : genannt « Cucuphilo ». Sartres erster Philosophielehrer am Lycée Henri IV 1921/22.
Jean Chaintron: 1906-89. Politiker. Alias Barthel. Als junger Erwachsener PCF-Mitgl, arbeitete für Intl. Rote Hilfe. 1936 an Gründung des Parti Communiste Algérien beteiligt, dann Politkommissar bei Intl. Brigaden im Span. Bürgerkrieg. 1939-41 in der Ltg. des PCF in Südfrankreich, 41-44 in Haft. 47 enger Mitarbeiter von Thorez, doch 1950 aus ZK geworfen (dort seit 1937). 1956 durch XX. Parteitag der KPdSU verunsichert. Beteiligt sich an Dissidenten-Zs. Unir. 1962 aus PCF ausgeschlossen. 1967 Mitgl. PSU. Besuchte Sartre 1952. Beteiligte sich an der Gründung von Secours Rouge 1970.
Félicien Challaye: 1875-1967. Philosophielehrer, Journalist, Antikolonialist, Pazifist. Studierte an ENS, 1897 Agrégation in Philo (Nr. 1), Studienaufenthalt in Berlin. Dreyfusard. 1899-1901, 1905, 1918-19 Reisen in Asien, Nordafrika, Schwarzafrika machen ihn zum Antikolonialisten. Zuerst nahe an Péguy, dann Sozialist, PCF (-1935). 1921-37 am Lyceé Condorcet. Mitgl. Ligue de défense des indigènes, Ligue contre l’impérialisme et l’oppression colonial, Ligue des droits de l’homme, Comité de vigilance des intellectuels antifascistes, Ligue internationale des combattants de la paix (zeitweise deren Präs.). Als Pazifist nahe an Alain. Auch 1938/39 Pazifist, näherte sich 1941 Vichy und Déat an. Nach Befreiung nicht behelligt. Unterstützt die Befreiungsbewegungen in Nordafrika. Als Antikolonialist einflussreich unter den Jugendlichen: beeinflusste Sartre 192’-24.
Madeleine Chapsal: 1925-. Journalistin, Schriftstellerin. 1945-60 verheiratet mit Servan-Schreiber. Zuerst bei Zs. Les Échos. Gründungsmitglied beim Express (1953-78). Interviews mit Sartre 1959,1960.
Maxime Chastaing: 1913-1997. Philosoph. Führend an der Einführung der Phänomenologie in Frankreich beteiligt (Artikel über das Man Heideggers in Esprit 1934, Introduction à l'étude de la compréhension d'autrui 1935; Phénoménologie du serment 1939). Näherte sich Gabriel Marcel und Emmanuel Mounier an. Veröffentlichte in Esprit. Vermittler angelsächsischer Denker (Ryle, Strawson, Wittgenstein, Virginia Woolf). Sartres Schüler in Le Havre.
Alphonse de Châteaubriant: 1877-1951. Germanophiler, profaschistischer Schriftsteller mit regionalistischen Themen (u.a. Prix Goncourt 1911). Führender Kollaborateur: Lt. der Zs. La Gerbe. 1945 bis zu seinem Tod im Kloster in Kitzbühel.
René-Jean Chauffard: 1920-72, ehemaliger Schüler Sartres. Schauspieler, u.a. in Uraufführung von Morts sans sépulture (1946; Sorbier), Le Diable et le bon Dieu (1951; Karl), Nekrassov (1955; Inspecteur Goblet), spielte in den Radioaufnahmen 1947 den Gaullisten.
Jean-René Chauvin: 1918-2011. Trotzkist (PCI), später bei UGS, PSU, 69-86, 02-08 LCR. KZ-Gefangener. Nahm am RDR teil: schrieb mit Sartre die Motion Chauvin-Sartre gegen Rousset.
Marie Marguérite Chavoix, gen. Élodie: 1846-1919 (Thiviers), verh. mit Dr. Eymard Sartre. Sartres Grossmutter. Aus alter Honoratiorenfamilie. Tochter eines Apothekers. Hinterliess Sartre eine kleine Erbschaft.
Jacques Chirac: 1932-2019. Gaull. Politiker. Ministerpräsident 1974-76, 86-88, Bürgermeister von Paris 77-95, Präsident 95-2007. Verhinderte 1975 die Sendung Sartres über die Geschichte des 20. Jahrhunderts auf Antenne 2.
Claudine Chonez: 1912-95. Journalistin, Schriftstellerin. War 1943-46 eine der ersten Kriegsjournalistinnen. Zeitweise Weggefährtin des PCF. Unterzeichnete das Manifest der 343 für Abtreibung. Interviews mit Sartre (u.a. 1938 das erste Interview Sartres; später 1950, 1951, 1955, 1959, 1969)
Paul Claudel: 1868-1955. Schriftsteller und Diplomat (Botschafter in Tokio und Washington). 1946 Académie Française. Vertreter einer katholischen, moralist. Literatur. Pétainist, gegen antiklerikale 3. Republik wie auch Nazis. Sartre las 1930 mit Interesse dessen Hauptwerk Le Soulier de satin (Drama, 1925 veröff., 1943 von Barrault aufgeführt).
Maurice Clavel: 1920-79. Philosophielehrer, Dramatiker, Journalist (u.a. für Combat 1955-60) und Nouvel Observateur (1964-79) und politischer Schriftsteller. Zuerst Anhänger von Doriot/PPF und Freund von Bouteng. Ab 42 in Résistance. Engagierte sich 1944/45 für Drieu und Brasillach. Wurde zum glühenden Linksgaullisten bis zur Ben Barka-Affäre (Entführung des marokkanischen Oppositionellen Ben Barka 1965 aus Paris mit Beihilfe des französischen Staates). 1965 Rückkehr zum kath. Glauben. Betätigte sich nach 1968 auf der linksextremen Seite (u.a. mit R. Castro). Sartre gründete im Jul. 71 mit ihm zusammen die Presseagentur Libération (Lt.: Clavel und Jean-Claude Vernier), 1973 die gleichnamige Zt.. 1972 Prix Medicis. Pate der Nouveaux Philosophes. Polit. kath. (gegen sexuelle Befreiung) und pro-israel., trotzdem links.
Catherine Clément: 1939-. Philosophin, Schriftstellerin, Feministin, Kulturschaffende. Studierte an ENS Sèvres, arbeitete an Sorbonne (Jankélévitch, Lévi-Strauss, Lacan). Mitarbeiterin im Kulturressort von Le Matin de Paris 1976-82 (1979 Interview mit Sartre). 87-99 als staatl. Kulturbeauftragte im Ausland.
Tony Cliff: 1917-2000. Eigentlich Yigael Gluckstein. Trotzkist. Geboren in Palästina, staatenlos. Sah im Sowjetkommunismus einen bürokratischen Staatskapitalismus und nicht nur einen degenerierten Arbeiterstaat wie Trotskij. Gründete in England die Socialist Workers Party.
Jean Cocteau: 1889-1963. Schriftsteller, Maler und Cinéast. Antikonformist und Dandy (Vorbild Wilde). Schwul (liebte es, sich mit jungen Männern zu umgeben; als intime Freunde u.a. der Schriftsteller Radiguet, der Schauspieler Marais und der Verleger Morihien). Wegen seiner Homosexualität von den Surrealisten abgelehnt, aber auch von konservativen Intellektuellen wie F. Mauriac. Opiumsüchtig. Viele Freunde in der Kunstwelt (Diaghilev, Stravinski, Apolinnaire, Picasso, Modigliani, Colette, Coco Chanel). Schrieb Stücke für E. Piaf und J. Gréco. Förderer von Film und Foto. Gegner der Surrealisten, da er apolitisch war. War schon immer sehr germanophil. Trat nach Ende des 1. WK für Freundschaft mit Deutschland ein. Während 2. WK weiterhin pro-deutsch (u.a. 1942 das von Éluard kritisierte Grusswort an den Nazi-Bildhauer Breker, mit dem er seit den 20er Jahren bis zu seinem Tode befreundet war)., aber von Vichy-Frankreich als Vertreter der Dekadenz scharf kritisiert: La Machine à écrire konnte nur dank deutscher Hilfe aufgeführt werden. 1955 Mitglied der Académie Française. Sartre lernte Cocteau währen der Besatzung kennen, schätzte ihn als Nonkonformisten sehr. Keine Rivalität zwischen den beiden. Cocteau förderte Huis clos, inszenierte Les Mains sales. Über Cocteau kam Sartre zu Genet, dem Cocteau intensiv half. Zusammen setzten sie sich für die Begnadigung Genets ein. Aber noch im Todesjahr von Cocteau kam es zum Bruch zwischen Sartre und ihm, da nach Cocteaus Meinung Sartre Genet missbraucht hatte.
Daniel Cohn-Bendit: 1945-. Dt.-franz. grün-alternativer Politiker. Vater Deutscher jüdischer Herkunft, Mutter Französin. Studierte 1965-68 in Nanterre. Als der Rote Dany Führer der Studentenrevolte in Nanterre (M22M) und dann, zusammen mit Jacques Sauvageot, Geismar, Krivine im Mai '68 (Interview mit Sartre). Politisch Spontaneist. 1968 aus Frankreich ausgewiesen (-1978, Einreisesperre aufgehoben nach Intervention Sartres). Engagierte sich in Deutschladen in der APO-Szene in Frankfurt („Spontifex maximus“) und der Kinderladen-Bewegung (antiautoritäre Erziehung, für Sexualität der Kinder). 1984 Mitglied der Grünen Partei Dtlds. (Realo). Seit 1994 im Europäischen Parlament (1999-2004 als Vertreter der franz. Grünen).
Jeannette Colombel: 1920-2016. Philosophielehrerin, Schriftstellerin. Schrieb in La Nouvelle Critique und Temps Modernes (v.a. in 70er Jahren, u.a. aktiv an den Nummern über Korsika, Larzac, die Banlieue beteiligt). Bis 1968 Mitglied PCF (zeitweise Tendance italienne). Befreundet mit Sartre, Foucault, Deleuze: mitbeteiligt an Gründung von Secours Rouge, Libération. Unterstützte in den 80er Jahren die tschechischen Dissidenten. Schrieb mehrere Bücher über Sartre.
François Colonna d'Istria: 1864 (Korsika) -1925. Philosophieprofessor, 1911-25 an der Khâgne des Lycée Louis-le-Grand. Hatte bekannte Philosophen als Schüler: Paul Morand, Gabriel Marcel, Jean-Paul Sartre, Paul Nizan, Raymond Aron, Emmanuel Beri. Interessierte sich sehr für die Psychologie. Gab Sartre den Essai sur les données immédiates de la conscience von Bergson zu lesen, der in Sartre die Begeisterung für Philosophie weckte.
Michel Contat: 1938-. Schweizer Sartre- und Jazzspezialist. Geboren in Bern. Studierte in Lausanne und Paris (Sorbonne 1959/60). Zuerst Lehrer in der Waadt. Seit 1969 in Paris, durch Sartre für eine technische Zusammenarbeit mit TM gerufen. Forscher am CNRS. Seit 1978 literarische Chronik im Le Monde. Seit 1979 Jazzchronik im Magazin Télérama. Selbst Hobbyjazzer. Schrieb Diplomarbeit über Les Séquestrés d’Altona: deshalb 1965 Kontakt mit Sartre. Dank Sartre Aufhebung des Einreiseverbots nach Frankreich wg. Hilfe an FLN. Zusammen mit Rybalka 1970 Hg. der Écrits de Sartre. Zusammen mit Astruc Film über Sartre (Sartre par lui-même) 1972 (1977 als Buch). Hg. mit Rybalka von Un Théâtre de situations (1973) und Œuvres romanesques (1981). 2005 Hg. von Théâtre Complet von Sartre. Gehörte wie Ben-Gal eher zu jenen, die Arlette unterstützten und sich mit Beauvoir nicht so gut verstanden.
David Cooper: 1931-86. Südafrikaner. Führender Antipsychiater in England (erfand 1967 den Ausdruck Antipsychiatrie), existentieller Marxist. Ab 1972 in Paris. Sartre schrieb das Vorwort für Reason and violence, das er mit Laing zusammen verfasste. 1967 Congress on the Dialectics of Liberation in London (mit Laing, Ginsberg, Marcuse, Carmichael: Sartre musste kurzfristig absagen).
Henry Corbin: 1903-78. Philosoph, Orientalist. Führte Heidegger 1931 mit seiner Übersetzung von Was ist Metaphysik? 1931 in Frankreich ein; übersetzte weitere Werke Heideggers auf Französisch, so Auszüge von Sein und Zeit; führte später die iranische Mystik in Frankreich ein. 1946-73 am franz-iran. Institut in Teheran, ab 1954 Professor für Islamismus an der Ecole pratique des hautes études.
Daniel (Bouyjou-)Cordier: 1920-2020. Kunsthändler, Résistance-Mitglied und -Historiker. Zuerst Maurassien und Anhänger der Action Française. Biographie Moulins, dessen Sekretär er 1942-43 war. Traf Sartre mehrmals im Sommer 43 wg. Zusammenarbeit in Résistance (Resultat: Studie Sartres über Lage in Frankreich?). Nach dem Krieg Maler und Kunsthändler.
Pierre Courtade: 1915-63. Komm. Journalist, Schriftsteller. Traf 1941 Aragon, Vailland. In Résistance. 1944-46 in Action: dort mit Hervé einer der Gesprächspartner Sartres. 1946-63 zuständig für Internationales bei L’Humanité: am Schluss in Moskau. Ab 1946 Novellen, Romane.
Georges Courteline: 1858-1929. Eigentl. Georges Victor Marcel Moinaux. Autor von satirischen Romanen und Dramen. Sartre schrieb ihm 1912 als Kind einen Brief.
Klaus Croissant: 1931-2002. Linker Rechtsanwalt in Deutschland. Sympathisant der RAF, verteidigte RAF (Baader): Sartre besuchte Baader auf Croissants Vorschlag hin. 1975 verhaftet, floh er 1977 nach Frankreich: Sartre, Foucault, Deleuze, Guattari etc. setzen sich für ihn ein: trotzdem 1977 ausgeliefert. Nach Freilassung 1981 wurde er zum Stasi-Mitarbeiter.
François Cuzin: 1914-1944. Philosoph. Mitglied von Socialisme et liberté. Studierte an ENS (1943: 2. Agrégation), ab 1943 Phil.prof. in Digne-les-Bains. Schloss sich dann der Résistance an: Jul. 44 von den Deutschen verhaftet, gefoltert und getötet.